Manifestieren als Megatrend

Manifestieren als Megatrend
07.04.2024 Sternstunde Philosophie
Durch Manifestieren sollen wir uns Liebe, Geld und Erfolg herbeiwünschen können, wenn wir nur fest daran glauben. Zahlreiche Prominente wie Jim Carrey oder Bella Hadid schwören darauf. Was steckt hinter dem spirituellen Trend? Alles nur Humbug? Oder ist Manifestieren vielleicht das «moderne Gebet»?
Themen in dieser Folge:
- 00:00 Wie wurde Manifestieren zum Massenphänomen auf TikTok & YouTube?
- 10:25 Was ist Manifestieren?
- 16:30 Ist Manifestieren ein altes Phänomen?
- 19:10 Was manifestiert die Schauspielerin und Ex-Miss-Schweiz Melanie Winiger?
- 27:11 Manifestation gleich Verhaltenstherapie?
- 35:17 Ist positives Denken in tragischen Situationen hilfreich?
- 39:11 Früher hat man gebetet, heute manifestiert man?
- 43:57 Warum manifestieren insbesondere junge Frauen?
- 49:14 Rhonda Byrne: Falsche Versprechungen von Heilungserfahrungen?
Zusammenfassung des Artikels „Megatrend Manifestieren: Welche Macht haben unsere Gedanken?“ aus Sternstunde Philosophie | SRF Kultur, 7.4.2024).
1. Kernidee des „Manifestierens“
- „Manifestieren“ beschreibt den Glauben, dass man durch positive Gedanken, Affirmationen und intensive Vorstellungskraft die eigene Realität beeinflussen oder gestalten kann.
- Dahinter steht das sogenannte „Gesetz der Anziehung“, wonach Gleiches Gleiches anzieht: Positive Gedanken ziehen positive Ereignisse an, negative Gedanken entsprechend negative.
2. Ursprung und Popularität des Trends
- Die Idee ist nicht neu, sondern wurzelt in der amerikanischen Neugeist-Bewegung des 19. Jahrhunderts, wurde durch Bücher wie Rhonda Byrnes „The Secret“ (2006) erneut populär.
- Besonders während der Pandemie (Corona-Krise) stieg das Interesse stark an; viele Menschen suchten nach Kontrolle und Orientierung in unsicheren Zeiten.
- Prominente (z.B. Oprah Winfrey, Denzel Washington) propagieren diese Methode, wodurch sie populärer und mainstreamfähiger wurde.
3. Psychologische Hintergründe
- Selbsterfüllende Prophezeiungen: Wenn man positive Erwartungen hat, verhält man sich auch entsprechend, wodurch die Wahrscheinlichkeit des erwünschten Ergebnisses steigt.
- Bestätigungsfehler (Confirmation Bias): Menschen nehmen Informationen bevorzugt wahr, die ihre Überzeugungen bestätigen, was das Gefühl bestärkt, manifestiert zu haben.
- Manifestation nutzt psychologische Prinzipien (z.B. Placebo-Effekt, Priming-Effekte), ist jedoch nicht wissenschaftlich nachgewiesen als übernatürliche Kraft.
4. Methoden und Anwendungen
- Affirmationen („Ich bin reich“, „Alles was ich anfasse, wird zu Gold“)
- „Quantum Jumping“: Imaginäre Zeitreise in eine zukünftige Wunschrealität.
- Das „Gesetz der Annahme“: Sich verhalten, als hätte man das gewünschte Ergebnis bereits erreicht („Fake it till you make it“).
- Praktische Rituale wie „ins Feuer schreiben“ von Wünschen, Visualisierungen und tägliche Wiederholungen.
5. Prominente Beispiele und Kritik
- Prominente wie Jim Carrey oder Rapper Drake praktizieren Manifestationstechniken, etwa indem sie symbolische Handlungen ausführen, bevor sie erfolgreich sind.
- Kritisiert wird oft der materialistische Aspekt des Manifestierens (z.B. Geld, Luxusgüter, Immobilie).
- Manifestation wird als Versuch gesehen, auf einfachem Wege materiellen Erfolg zu erreichen.
6. Risiken und ethische Problematik
- Gefahr, dass Menschen sich selbst schuld an negativen Ereignissen geben (z.B. Krankheit, Schicksalsschläge).
- Kann zu gefährlichen Schuldzuweisungen und einer negativen Selbstwahrnehmung führen, wenn Wünsche nicht eintreten.
7. Tieferer philosophischer und sozialer Kontext
- Der Trend spiegelt aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen wider: Fokus auf Selbstoptimierung, Individualisierung, und Eigenverantwortung.
- Manifestieren ersetzt teilweise soziale Verantwortung durch psychologische Eigenverantwortung („Mindset statt Gesellschaft“).
- Es zeigt eine Sehnsucht nach Selbstwirksamkeit und Kontrolle angesichts globaler Krisen und Unsicherheiten.
8. Kritische Einschätzungen der Experten
- Psychologin Pia Klusti sieht darin überwiegend psychologische Mechanismen („verhaltenstherapeutische Grundlagen“), keine übernatürlichen Kräfte.
- Philosoph und Theologe Matthias Schmid kritisiert insbesondere den materialistischen Charakter sowie die potenzielle Unbarmherzigkeit, wenn Menschen für ihr Schicksal selbst verantwortlich gemacht werden.
9. Gemäßigte Perspektive (Melanie Winiger)
- Schauspielerin Melanie Winiger nutzt Manifestation als Selbstfindungsprozess, betont aber Verantwortung und Realismus („kein Wunschkonzert“).
- Sie grenzt klar ab, dass manifestieren bei Schicksalsschlägen wie Krankheiten nicht einfach pauschal anwendbar sei.
10. Fazit und Bewertung
- Manifestation ist ein modernes kulturelles Phänomen mit tiefen historischen Wurzeln.
- Es nutzt wissenschaftlich erklärbare psychologische Effekte, verpackt diese aber oft in esoterische Konzepte.
- Kann positiv wirken (Selbsterkenntnis, Selbstvertrauen stärken), aber auch gefährlich sein (Schuldgefühle, Realitätsverleugnung).
Kurz gesagt:
Manifestieren verbindet psychologische Mechanismen (Placebo, Selbsterfüllende Prophezeiungen) mit einer spirituell-esoterischen Weltanschauung, wurde zum Megatrend, birgt jedoch ethische Risiken und gesellschaftskritische Fragestellungen.